Ausgezeichnetes Engagement in Stuttgart – mangelnde Unterstützung vom Bund
Viele kennen sicher das Leid, für die kleinsten Fragen von Amt zu Amt gehen zu müssen. Wie beschwerlich kann es sein, die richtige Stelle zu finden und dann noch einen Termin zu bekommen – selbst wenn wir uns schon eine ganze Weile in diesem Land auskennen. Wie viel schwieriger ist es, wenn junge Menschen zu uns kommen, die sich in diesem Land nicht auskennen. Die noch dazu mit ganz unterschiedlichen Biografien kommen und oft überhaupt keine Erfahrung mit Behörden haben. Die Überforderung ist vorprogrammiert, wenn es darum geht, vom Jobcenter zur IHK und zum Sprachkurs zu gelangen, um sich auf eine Ausbildung vorzubereiten.
Es war daher eine herausragende Idee der Stadt Stuttgart, zusammen mit der Bürgerstiftung und weiteren Partnern den Ausbildungscampus in der Jägerstraße zu schaffen. So herausragend, dass dieser kürzlich mit dem Integrationspreis der Bundeskanzlerin ausgezeichnet wurde. Zu Recht! Denn hier gilt: alle sind willkommen und alle finden die Unterstützung, die sie brauchen – an einem Ort.
Ein guter Grund für mich, den Ausbildungscampus zum zweiten Mal zu besuchen und zur Auszeichnung zu gratulieren.
Besonders begeistert mich das Konzept der Gemeinsamkeit. Menschen kommen zum Ausbildungscampus, können dort einfach nur einen Kaffee trinken, sich über Unterstützungsangebote informieren oder den Termin im Jobcenter in einer freundlichen Atmosphäre wahrnehmen. Die Menschen dort sind hochmotiviert, von der Psychologin bis zur Leiterin Frau Ulloa, die uns herzlich empfangen und herumgeführt hat. Oft kommt die ganze Familie zum Ausbildungscampus: Mama kann Frauenmentoringprogramme besuchen, Papa an Deutschkursen teilnehmen und die jugendliche Tochter macht in Begleitung des Ausbildungscampus ein Praktikum bei einem Stuttgarter Unternehmen. Der niederschwellige Zugang ist das Geheimrezept, das zu neuen Begegnungen und Projekten führt, die durch den unkomplizierten Kontakt in angenehmen Räumen entstehen.
Aber es sind nicht nur die hauptamtlichen Kräfte, die das Projekt zum Erfolg geführt haben. Wie so oft, steckt auch ehrenamtlicher Einsatz im Ausbildungscampus. Das vom Bund geförderte Programm „Menschen stärken Menschen“ ermöglicht ein 1:1 Mentoring, bei dem Stuttgarterinnen und Stuttgarter Neuankömmlinge begleiten und auf ihrem Lebensweg in unserer Stadt unterstützen.
Leider ist dieses Programm allerdings ebenso wie der gesamte Engagementbereich auf Bundesebene einer regelmäßigen Hängepartie ausgeliefert. Seien es die Freiwilligendienste, das Demokratieförderprogramme „Demokratie Leben“ oder eben das Programm „Menschen stärken Menschen“ – schon zum zweiten Mal hintereinander sollten die Gelder für den nächsten Haushalt gekürzt werden. Erst in letzter Sekunde wurden die Kürzungen zurückgenommen und gerade so das Niveau der Vorjahre gehalten. Eine Zitterpartie für all die Projekte wie den Ausbildungscampus, die ohne Planungssicherheit nur schwer kontinuierlich arbeiten können.
Als Sprecherin für Bürgeschaftliches Engagement der grünen Bundestagsfraktion ist es für mich unbegreiflich, warum solche Programme jährlich einer solchen Hängepartie ausgeliefert sind. Sie stärken den gesellschaftlichen Zusammenhalt, fördern die Integration von geflüchteten Menschen und ermöglichen eine starke Zivilgesellschaft. Wir werden uns daher auch weiterhin vehement dafür einsetzen, dass solche Projekte die Unterstützung erhalten, die sie verdient haben. Und das müsste eigentlich deutlich mehr sein als die jedes Mal hart umkämpften Mittel, die nun seit Jahren stagnieren.
Völlig absurd wird es nicht zuletzt, wenn die CDU Vorsitzende ein verpflichtendes Dienstjahr für alle fordert. Jedes Jahr müssen wir erneut im jeden einzelnen Platz in den Freiwilligendiensten kämpfen. Es würden sich gerne noch mehr junge Menschen freiwillig einbringen – sie finden aber zum Teil keinen Platz. Statt also alle zu verpflichten, sollten lieber endlich ausreichend Plätze für die geschaffen werden, die sich engagieren wollen. Eine Dienstpflicht würde hingegen potentiell mit dem Grundgesetz in Konflikt stehen und Engagement eher zu einer „lästigen Pflicht“ machen, die nicht unbedingt zu weiterem Engagement motiviert. Sie wäre also womöglich kontraproduktiv, während freiwilliges Engagement in jungen Jahren in der Regel zu weiterem wertvollen Einsatz für die Gesellschaft führt.
Auch vor Ort hat mit Frau Ulloa, die Koordinatorin des Ausbildungscampus, deutlich gezeigt, welch wertvolle Arbeit sie täglich Mitten in Stuttgart leisten. Falls Ihr auch Interesse daran habt, Euch aktiv an diesem großartigen Projekt zu beteiligen, dann meldet Euch direkt beim Ausbildungscampus – sie freuen sich immer über engagierte Mitbürger*innen!