Das Wir gewinnt: Mit gesellschaftlichen Engagement und Zusammenhalt aus der Pandemie kommen

Autor*innenpapier von:

Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende
Anna Christmann, Sprecherin für Bürgerschaftliches Engagement,
Kordula Schulz-Asche, Sprecherin für Pflege & Altenpolitik

Ein Gemeinschaftsgefühl trug uns durch die erste Pandemiewelle: Wir packen diese Krise gemeinsam! #Flattenthecurve war das Motto. Überall entstanden Nachbarschaftshilfen, Einkaufspatenschaften, lokale Initiativen zur Unterstützung von Kultur, Gastronomie und Einzelhandel. Jetzt, ein Jahr später, tragen die Menschen zwar immer noch Maske zum Schutz der anderen, achten auf Abstand und Hygiene[1], aber eine zunehmende Müdigkeit breitet sich aus. Es fehlt an einer Perspektive: Die Menschen wollen wissen, woran sie sind. Und sie wollen aktiv mitmachen und anpacken wo möglich, um die Pandemie zu beenden. Doch das Engagement bekommt nicht mehr die Aufmerksamkeit, die seiner Bedeutung für den Weg durch und aus der Pandemie gerecht würde.

Verschärft wird die Lage dadurch, dass viele Engagierte und gemeinnützige Organisationen pandemiebedingt große Probleme haben, ihrer Arbeit nachzugehen und über viele Jahre gewachsene Strukturen freiwilligen Engagements auf dem Spiel stehen. Der Bedarf nach Hilfeleistungen, sozialer Gemeinschaft, kostenfreien Lebensmitteln oder Hygieneartikeln steigt, gleichzeitig sind beispielsweise bei Tafeln knapp Zweidrittel der Ehrenamtlichen selbst im höheren Alter einer Risikogruppe. Anderen gemeinnützigen Organisationen wie zum Beispiel Rettungsdiensten, Wohlfahrtsverbänden, Kulturvereinen  oder Sportvereinen brechen Einkünfte weg oder die Arbeit wird deutlich erschwert: Veranstaltungen, Feste oder Konzerte sind gestrichen, die Vereinsgaststätten und Jugendherbergen geschlossen, zusätzlich gehen Einnahmen aus Spenden, Sponsoring oder Mitgliedsbeiträgen teilweise zurück und Aktivitäten sind nur digital oder unter hohen Hygieneauflagen möglich.

Wir wollen die Kraft der Zivilgesellschaft in die Pandemiebewältigung einbinden und das Engagement der Abertausenden von Menschen unterstützen, die sich in den Dienst der Gemeinschaft stellen. Dazu legen wir einen Drei-Säulen-Plan zur Stärkung von bürgerschaftlichem Engagement, Ehrenamt und der Zivilgesellschaft in der Krise vor:

1. Säule: Ein Engagementgipfel für mehr Dialog, Sichtbarkeit und Perspektiven

Die Pandemie hat viele zivilgesellschaftliche Akteur*innen vor erhebliche Schwierigkeiten gestellt. Dabei lebt unsere Gesellschaft von der Vielfalt des Engagements, gerade auch jetzt, in der Krise. Ohne ihren Einsatz und den Beitrag der zahlreichen gemeinnützigen Organisationen und Vereine in Deutschland würden wir die Pandemie nicht bewältigen können. Aber das Engagement wird dennoch wenig wahrgenommen, ist im Schatten der Debatten um Impfen, Testen und Infektionszahlen zu wenig sichtbar und viele Engagierte empfinden es als nicht genug wertgeschätzt. Das zeigen auch Befragungen.

Wir sehen die Bundesregierung in der Verantwortung, den Kontakt und Austausch mit der engagierten Zivilgesellschaft deutlicher zu suchen und die Sichtbarkeit, Wertschätzung und Unterstützung gegenüber den vielen freiwillig Engagierten zu verbessern. Wir schlagen daher vor, einen breit aufgestellten, partizipativen Engagementgipfel mit Vertreter*innen  gemeinnütziger Organisationen, Verbänden und Initiativen der Zivilgesellschaft noch im Frühjahr einzuberufen und dort die politischen Rahmenbedingungen für Engagement in der aktuellen Situation aber auch künftige Perspektive darüber hinaus zu diskutieren.

Die Themen Zivilgesellschaft, Engagement und Ehrenamt laufen Gefahr, zwischen den verschiedenen Ministerien – vom Innenministerium über das Ministerium für Ländliche Räume bis zum federführenden „Engagementministerium“ dem BMFSFJ – zerrieben zu werden und unterzugehen. Das zeigt sich einmal mehr in der Engagementpolitik während der Corona-Pandemie. Darum brauchen wir innerhalb der Bundesregierung eine klar zuständige Person für die Anliegen der Zivilgesellschaft, die Kompetenzen für Bürgerschaftliches Engagement, Ehrenamt und Bürgerbeteiligung bündelt – jetzt aktuell aber auch über die Pandemie hinaus.

2. Säule: Ein Rettungsschirm und Zukunftsprogramm für die Zivilgesellschaft

Engagierte, Vereine und Initiativen sind aufgrund der Pandemie zum Teil selbst in Not geraten und brauchen Perspektiven. Einige sind wegen fehlender Einnahmen in ihrer Existenz bedroht.[3] Die Bundesregierung ist zu zögerlich, dem gemeinnützigen Sektor und den Engagierten unter die Arme zu greifen. Kredite sind keine sinnvolle Lösung für Gemeinnützige, für Wirtschafhilfen von Bund und Ländern qualifizieren sie sich oft nicht und von Überbrückungshilfen profitieren nur wenige.

Für akute Soforthilfen fordern wir einen echten Rettungsschirm Zivilgesellschaft mit dem unbürokratisch und schnell Corona-Soforthilfen als nicht rückzahlbare Zuschüsse für stark betroffene, in Not geratene Organisationen der Zivilgesellschaft gewährt werden. Diesen Rettungsschirm haben wir bereits im vergangenen Frühjahr gefordert, Handlungsbedarf besteht leider noch immer (vgl. (https://www.gruene-bundestag.de/themen/corona-krise/rettungsschirm-fuer-die-zivilgesellschaft).[4]

Ebenso entstehen vielen Organisationen zusätzliche Kosten in der Pandemie, durch Digitalisierung, Umsetzung von Hygienekonzepten, Kompensation fehlender Freiwilliger und Nachwuchskräfte und mehr. Gleichzeitig steigt die Erwartungshaltung auch das zivilgesellschaftliche Geschehen wieder aufzunehmen und z.B. der Vereinsarbeit ein Stück „Normalität“ zurückzugeben. Hier sehen wir die neue Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt (DSEE) in der Verantwortung, den Bedarf zu ermitteln und ein „Impulsprogramm Zukunft Zivilgesellschaft“ für  Innovationen für den Neustart zivilgesellschaftlichen Engagements vor allem durch digitale Formate und die dafür notwendige Infrastruktur einzurichten und dies im Rahmen einer Förderrichtlinie 2021 zu berücksichtigen. Es ist entscheidend, dass die DSEE jetzt wirklich zu einer Förderstiftung wird, die zusätzliche Mittel für den Engagementbereich bereitstellt.

Auch Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen können die Lage erleichtern. Wir sprechen uns dafür aus, dass die steuerlichen Ausnahmeregelungen zur Förderung für von der Corona-Krise betroffener gemeinnütziger Organisationen, die das Bundesfinanzministerium im April 2020 erlassen hat, auf ihre Wirkung hin evaluiert und gegebenenfalls bis Ende 2022 verlängert oder sogar dauerhaft gewährt werden.[5] Gleiches gilt für die aktuell noch gewährten Flexibilisierungen im Vereinsrecht, z.B. im BGB [6].

3. Säule: Freiwilliges Engagement gezielt und langfristig stärker machen

Engagement und Ehrenamt sind vor allem in der Krise ein riesiger Mehrwert für die Gesellschaft: Viele packen derzeit an, noch viel mehr wollen etwas tun. Einsatzorte für freiwillig Engagierte gibt es genug, aktuell ist gezielte Unterstützung in den Impfzentren, bei der Kontaktverfolgung, bei der Durchführung von Schnelltests in Alten- und Pflegeeinrichtungen, in Bildungseinrichtungen oder der Kinder- und Jugendhilfe gefragt. Dieses Engagement unterstützt die am stärksten von der Pandemie betroffenen Menschen und hilft uns allen. Wir müssen dafür sorgen, dass Freiwillige und Einsatzorte zueinander finden. Wer bereit ist, sich freiwillig zu engagieren, dem müssen dafür unkompliziert Möglichkeiten angeboten werden.

Um auch langfristig mehr Menschen an das Engagement heranzuführen, sollte Service Learning an Schulen und Hochschulen in die Fläche gebracht werden. So können Jugendliche mit ganz unterschiedlichen Hintergründen über die Schule erreicht und für Engagement begeistert werden.

Aber das alles nutzt nichts, wenn der Rahmen und die Möglichkeiten für ein freiwilliges Engagement nicht gewährleistet sind. Wir fordern die Bundesregierung daher u.a. auf, freiwillig motivierte Freistellungen für Arbeitnehmer*innen, Freiwilligendienstleistende oder Studierende zur Mithilfe in Impfzentren und Kontaktverfolgung oder am Quarantänetelefon zu erleichtern und mit den Arbeitgeberverbänden, Trägern der Freiwilligendienste und Wissenschaftsminister*innen der Länder Lösungen aufzuzeigen. Die Kriterien der Freiwilligkeit und Unentgeltlichkeit sind dabei zu beachten.

Ganz grundsätzlich brauchen wir aber zudem einen Paradigmenwechsel in der Förderlogik von Engagement & Ehrenamt: Weg von kurzfristiger, fragmentierter und episodischer „Projektitis“, die wichtigen zivilgesellschaftlichen Initiativen kaum Planungs- und Zukunftssicherheit gibt, hin zu zuverlässigerer Förderpolitik, die gerade auch die Vielfalt des Engagements anerkennt und politisch unterstützt. Ein erster Schritt hierhin wäre z.B. ein Demokratiefördergesetz.

Mit Engagement und Demokratie aus der Krise

Wir haben als Gesellschaft in dieser Krise viel über uns gelernt. Darüber, was uns wichtig ist und was wir bewahren müssen. Aber auch genauso darüber, wo wir nicht widerstandsfähig genug sind, Probleme auftreten und wir dringend handeln müssen. Jetzt ist es an der Zeit, darüber zu reden, wie wir nach dieser Krise gemeinsam weitermachen wollen: Wie wir unsere Bildung digitaler machen? Unsere Innenstädte lebenswert erhalten und unsere Kultur bewahren? Wie wir uns besser auf zukünftige Krisen vorbereiten?

Wir alle können dazu beitragen. Perspektiven, Alltagswissen, Erfahrungen und Meinungen von Bürgerinnen und Bürgern müssen stärker in die Entscheidungen der Politik einfließen, ebenso die Perspektiven von Verbänden, Netzwerken, Stiftungen oder Initiativen, in denen schon seit Jahrzehnten mit Engagierten und Ehrenamtlichen zusammengearbeitet wird.

Das Papier ist im Austausch und mit freundlicher Unterstützung mehrerer Vertreter*innen der Zivilgesellschaft entstanden:

Maria Loheide, Vorstand Sozialpolitik Diakonie Deutschland
Evelin Schulz, Geschäftsführerin Tafel Deutschland e.V.
Dr. Thomas Röbke, Sprecher Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement e.V.
Tobias Kemnitzer, Geschäftsführer Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen e.V.
Lisi Maier, Vorstandsmitglied Deutscher Frauenrat, Bund der Katholischen Landjugend und Deutscher Bundesjugendring
Albrecht Broemme, Ehrenpräsident des THW, Manager der Berliner Impfzentren
Dr. Stefan Nährlich, Geschäftsführer & Vorstand Stiftung Aktive Bürgerschaft


[1] siehe u.a. https://www.zdf.de/nachrichten/politik/20210128-nur-14-prozent-halten-geltende-corona-massnahmen-fuer-uebertrieben-100.html oder https://yougov.de/news/2021/01/29/deutsche-noch-uberzeugter-als-briten-alles-fur-sch/

[2] siehe hierzu z.B. die Panelbefragung von ZiviZ im Bundesverband Deutscher Stfitungen im Auftrag der Länder Berlin, Bayern und Rheinlandpfalz sowie der Ehrenamtsstiftung Mecklenburg-Vorpommern und Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt: https://www.ziviz.de/corona

[3] Siehe hierzu u.a. den offenen Brief von mehr als einem Dutzend (Dach-)Verbänden der Zivilgesellschaft, koordiniert vom Deutschen Fundraising Verband e.V.: https://www.dfrv.de/wp-content/uploads/2020/04/BfG_Corona_offenerBrief-1.pdf

[4] Siehe hierzu auch die Untersuchung des Maecenata Instituts: https://www.maecenata.eu/2020/10/15/ein-rettungsschirm-fuer-die-zivilgesellschaft/

[5] Siehe hierzu das Schreiben des Bundesfinanzministeriums an die Obersten Finanzbehörden der Länder vom 9. April 2020, die Ergänzung vom 26. Mai 2020 und die Verlängerung mit Schreiben vom 18. Dezember 2021:  https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/BMF_Schreiben/Weitere_Steuerthemen/Abgabenordnung/2020-12-18-steuerliche-massnahmen-zur-foerderung-der-hilfe-fuer-von-der-corona-krise-betroffene-verlaengerung.html

[6] Siehe: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/181/1918110.pdf