Gastbeitrag: Künstliche Intelligenz made in Europe

Im Tagesspiegel plädieren Anna Christmann, Franziska Brantner, Reinhard Bütikofer und Theresia Bauer in ihrem Gastbeitrag für einen gemeinsamen Aufbruch hin zu einer europäischen Innovationsunion.

Ob Tesla, Google, Nasa oder Darpa – in den USA nimmt nicht nur der Staat viel Geld in die Hand. Auch Großkonzerne investieren bedeutende Summen in die Entwicklung von selbstfahrenden Autos, Robotern oder künstlicher Intelligenz (KI) – zunehmend auch in der Grundlagenforschung. Seit Jahren führen die USA die Weltrangliste der absoluten Forschungsausgaben an. Doch andere Länder holen rasant auf. In China pumpt der Staat seit einigen Jahren Milliarden in die Entwicklung von neuen Technologien wie KI. Insgesamt wird in Asien mittlerweile dreimal so viel in KI investiert wie in Europa, in Nordamerika sogar sechsmal.

Frankreich, Deutschland und andere europäische Staaten haben trotz wiederholt erklärter großer Ambitionen keine Chance, mitzuhalten, auch wenn teilweise die Budgets steigen. Nicht, weil es hier keine Spitzenforschung gibt, die bahnbrechende Innovationen hervorbringen kann. Im Gegenteil, einige der angesehensten Forschungsstandorte befinden sich in EU-Mitgliedstaaten. Doch einzeln für sich haben sie nie die finanzielle Durchschlags- und internationale Strahlkraft entwickelt, die es im globalen Wettlauf der Innovationen heute braucht. Wenn wir wollen, dass die Innovationen der Zukunft auch weiterhin in Europa entstehen, müssen wir europäisch denken, handeln und investieren.

Zeit, sich aus der Defensive zu befreien

In Europa machen wir uns zu Recht Sorgen um mögliche Auswirkungen der Technologien, die unsere Wirtschaft und unser Leben revolutionieren. Wir haben erfolgreich eine Datenschutzgrundverordnung entwickelt, mit der jetzt sogar Facebook wirbt. Langfristig dürfen wir uns aber weder über eine Abwehrschlacht gegen internationale Internetriesen definieren noch damit zufrieden geben, im Nachhinein den rechtlichen Rahmen für Innovationen zu stricken, die anderswo entwickelt wurden. Aus dieser Defensive müssen wir uns selbstbewusst befreien und in die Offensive kommen: mit Innovationen made in Europe.

Macron wirbt für eine europäische Innovationsagentur. Das Projekt Jedi (Joint European Disruptive Initiative) macht sich stark für eine deutsch-französische Agentur für bahnbrechende Innovationen nach dem Vorbild der amerikanischen Darpa (Defense Advanced Research Projects Agency) – ohne D für Defense, sondern mit D für Disruptive. In der Initiative „Ellis“ fordern zahlreiche europäische Spitzenforscher ein europäisches Forschungszentrum für künstliche Intelligenz, damit wir auf Augenhöhe mit anderen Staaten kommen. Ihr Argument: Wenn wir dringend benötigte Talente für Wissenschaft und Wirtschaft anziehen wollen, muss die Forschung zu KI über die Landesgrenzen hinweg vernetzt sein und Spitzenpersonal ein attraktives Forschungsumfeld bieten.

Agentur für Sprunginnovationen darf kein nationales Projekt bleiben

Die Zukunft der deutschen Innovationen liegt in Europa. Das gilt auch für die von der Bundesregierung angekündigte Agentur für Sprunginnovationen, die kein nationales Projekt bleiben darf. Dafür muss sich Deutschland jetzt auf EU-Ebene einsetzen und mit Frankreich den Anfang machen. Nachdem Bundeskanzlerin Merkel den jüngsten Schritt hin zu einer Europäischen Universität durch Baden-Württemberg und der französischen Region Grand Est begrüßt hat, muss die Bundesregierung nachziehen, entsprechende Gelder zur Verfügung stellen und sich für konkrete Maßnahmen auf EU-Ebene einsetzen.

Der Zeitpunkt ist gut, denn derzeit erarbeitet die Kommission Vorschläge zur Förderung von Forschung und Innovation ab 2021, die auch Budgetsteigerungen für das Forschungsrahmenprogramm enthalten – das ist ein Imperativ. Das Vorantreiben der Initiative für europäische Hochschulen ein anderer. Ideen kommen aber in erster Linie von den Regionen oder Frankreich, die Bundesregierung hat bisher keine Konzepte für ein ideenstarkes Europa vorgelegt.

Aufbruch zu einer europäischen Innovationsunion

Es ist Zeit für einen europäischen Aufbruch hin zu einem Europa der Ideen, hin zu einer europäischen Innovationsunion. Die Forschungsstandorte Europas müssen konsequent weiter vernetzt und europäische Innovationsprogramme ausgebaut werden. Wenn wir gegenüber Nordamerika und Asien nicht den Anschluss verlieren wollen, sind auf breiter Front entschlossene europäische Investitionen und Tempo gefragt. Sonst werden die Rahmenbedingungen für KI und andere Innovationen zukünftig in China und den USA definiert und nicht auf Grundlage europäischer Werte. Gerade bei der Entwicklung von künstlicher Intelligenz wäre das fatal. Während die Technologie in China im Dienst des allumfassenden Überwachungsstaats steht, wäre der europäische Weg eine KI, die beispielsweise die Autonomie und das Recht von Menschen auf Privatheit gleich mitdenkt.

Hier geht es zum Gastbeitrag im Tagesspiegel.