Beinahe zehn Jahre ist inzwischen die Engagementstrategie der Bundesregierung alt. Irgendwann in diesem Zeitraum ist auch die nationale Engagementpolitik steckengeblieben, denn z.B. digitales Engagement ist offenbar immer noch »Neuland«. Wir, die Fraktion von Bündnis90/Die Grünen im Bundestag, wollen aber u.a. mehr Wertschätzung für digitales Engagement und die Digitalisierung freiwilliger Arbeit und haben dazu einen Antrag für eine »Engagementoffensive« in den Bundestag eingebracht.

Gastbeitrag von Dr. Anna Christmann, Sprecherin für Bürgerschaftliches Engagement der grünen Bundestagsfraktion und Mitglied im Ausschuss Digitale Agenda für den Newsletter des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement (Juni 2019)

Unter dem Begriff »Klickaktivismus« werden seit geraumer Zeit mit eher ironischem Unterton Aktivitäten im Netz betitelt, wie z. B. das Unterzeichnen von Online-Petitionen, das Teilen und Verfassen von gesellschaftskritischen oder politischen Inhalten in sozialen Netzwerken usw. Das würde – so die oft gehörte These – für viele wohl ein »echtes, persönliches Engagement« ersetzen. Aber diese Spötteleien tun »digitalem Engagement« unrecht und treffen kaum den Kern dessen, was Engagierte im Netz alles für die Gesellschaft leisten.

Digitales Engagement ist schon lange kein Nischenphänomen einer kleinen Community mehr. Ebenso ist digitalisiertes Arbeiten in der freiwilligen Arbeit – dem bürgerschaftlichen Engagement – genauso angekommen und fast so stark etabliert wie in der Erwerbsarbeit. Seit über 15 Jahren erhebt der Deutsche Freiwilligensurvey regelmäßig, ob Internet und Soziale Medien im Rahmen von Engagement genutzt werden (z.B. für Öffentlichkeitsarbeit, Akquise neuer Mitglieder oder Mobilisierung und Vernetzung von Freiwilligen), aber auch, ob Engagement (sog. »Online-Volunteering«) primär über das Netz geschieht. Der Trend ist klar steigend: Knapp 60 Prozent aller Freiwilligen nutzen inzwischen Online-Verfahren für ihre Arbeit, 55 Prozent aller Engagierten erledigen zudem die zeitintensivsten Tätigkeiten ihres Engagements über das Netz.

Das Internet ist für die Engagementpolitik der Bundesregierung offenbar #Neuland

Trotzdem hapert es in der Engagementpolitik ganz gewaltig: Originär digitales Engagement, also z.B. als Autor*in freier Enzyklopädien (wie Wikipedia), Freifunker*in, Entwickler*in von Open Source Software, Urheber*in von Kreativinhalten unter freier Lizenz, Fundraiser*in usw., erfährt viel weniger politische Unterstützung und Wertschätzung als die vermeintlich »klassischen« Formen von Engagement. Wir haben die Bundesregierung in einer schriftlichen Frage gefragt, wie sie digitales bürgerschaftliches Engagement fördert. Weniger als drei Millionen Euro gibt sie für ihre wichtigsten Projekte jährlich aus. Ohne den Wert davon schmälern zu wollen, aber es in Relationen zu setzen: Für etwa 80.000 Freiwilligendienstleistende stehen im Bundeshaushalt über 300 Mio. Euro bereit.

Das ist ein Problem, da der Wert digitalen Engagements groß für die Gesellschaft ist und immer wichtiger wird. Viele von uns konnten das am eigenen Leib erleben, als Wikipedia aus Protest gegen die Urheberrechtsreform der EU und ihren Artikel 13 für einen Tag offline ging. Aber nicht nur die Aufbereitung von freiem Wissen, Kreativinhalten (Fotos, Videos, Musik) oder Software, sondern auch Online-Campaigning, Online-Petitionen (Campact, change.org usw.) oder Fundraising für wohltätige Zwecke (z.B. via betterplace.org) sind mehr als nur »Klickaktivismus«; sie sind inzwischen ein wichtiger Teil der gemeinnützigen Arbeit und Ausdruck der Wahrnehmung von demokratischen Bürgerrechten und politischem Engagement.

Die Engagementstrategie der Regierung greift das aber kaum auf. Denn sie ist schlicht veraltet. Wir fordern daher ein Update der Strategie mit einem Fokus auf digitale Fragen. Das haben wir auch in unserem Antrag für eine »Engagementoffensive« im Mai zum Ausdruck gebracht und darin digitalem Engagement einen größeren Stellenwert beigemessen. Zehn Jahre nach dem Verfassen der alten Engagementstrategie ist es höchste Zeit für ein Update. Zudem wird nächstes Jahr der Engagementbericht der Bundesregierung mit einem Fokus auf digitalem Engagement erscheinen. Spätestens dann muss dieses kommen.

Wertschätzung zeigen und rechtliche Anerkennung liefern

Wertschätzung für digitales Engagement bedeutet z.B. die Anerkennung als gemeinnützige Tätigkeit nach §52 Abgabenordnung – mit allen steuerlichen Vorteilen, die dies für die begünstigten Organisationen dann mit sich bringt. Leider ist uns die Regierung aber schon länger ein modernes Gemeinnützigkeitsrecht schuldig, das v.a. wirklich auch all jenen Organisationen den Gemeinnützigkeitsstaus sichert, die die »Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos (..) fördern«, wie es das Gesetz besagt. Dazu zählt für uns ganz klar auch digitales Engagement. Die Regierung erkennt jedoch offenbar keinen Handlungsbedarf, da sie digitales Engagement mit jeglichem klassischen Engagement gleichsetzt, das auch mal mit dem Computer vollzogen wird. Aber digitales Engagement ist mehr als Mausklicken, wir reden hier von Wertegemeinschaften mit eigenen Perspektiven, Herangehensweisen und Zielen.

Wertschätzung für Engagement zeigt sich aber auch an Auszeichnungen. Denkbar wäre es, dem Deutschen Engagementpreis eine Kategorie wie »Digitales« oder »Innovatives« (Soziale Innovationen) hinzuzufügen. Auch von der von uns bereits seit Jahren geforderten »Engagement-Karte« für besonders Engagierte sollten jene profitieren können, die sich digital für eine bessere (Um-)Welt einsetzen und von Vergünstigungen z.B. in Kultureinrichtungen o.ä. profitieren. So sagt man »Danke«.

Strukturelle und individuelle Unterstützung

Im Zuge der Engagementstiftung – bei der leider derzeit in den Sternen steht, ob sie jemals kommen wird – sähen wir durchaus eine gute Möglichkeit, um digitales Engagement und Digitalisierung im Ehrenamt zu unterstützen. In unserem Antrag zur Engagementoffensive hatten wir daher klare Erwartungen an die »Digitalsparte« einer Engagementstiftung gestellt. U.a. sollten »lokale Engagement-Marktplätze« in Zusammenarbeit mit den Freiwilligenagenturen entwickelt werden, die direkte Kommunikation von Vereinen und Freiwilligen ermöglichen, eine Toolbox und technische Beratung für Engagierte angeboten werden, in der z. B. selbstentwickelte Applikationen ausgetauscht werden können sowie eine Förderdatenbank bürgerschaftlichen Engagements inklusive einem niedrigschwelligen Support (z.B. als Chat). Zudem sollten Daten, Statistiken oder Bildmaterialen öffentlicher Bundeseinrichtungen unter freier Lizenz als »Open Data« der Öffentlichkeit bereitgestellt werden. Davon profitieren auch viele kleine, gemeinnützige Organisationen, die auch nur begrenzte Mittel haben, um z.B. Bilder für die Homepage zu kaufen oder Musikrechte für das Vereinsvideo zu erwerben.

Außerdem hegen wir weiterhin den Wunsch, Orte zu bauen, bei denen sich kleine Initiativen kostenfrei beratende Hilfestellungen z.B. bei Datenschutzfragen holen können oder Ressourcen für die Digitalisierung beantragen. Hier könnte man bestehende Strukturen wie die Freiwilligenagenturen stärken oder sich an neuen Ideen versuchen, wie den »Houses of Resources«, die z.B. migrantische Organisationen unterstützen.

Digitales Engagement & analoge Lebenswelten zusammendenken

In der Arbeitsmarktpolitik wird inzwischen viel über ein Recht auf Homeoffice und mobiles Arbeiten gesprochen. Die Heimarbeit bzw. mobile Arbeit im Dritten Sektor wird jedoch kaum politisch diskutiert. Aber warum? Wir setzen uns grundsätzlich für eine neue Zeitpolitik ein, gerade auch wenn es um die Vereinbarkeit mit Engagement geht. Dabei kann Homeoffice und mobiles Arbeiten zum einen mehr Flexibilität bringen, um sein eigenes Engagement noch mit dem Beruf und anderen Verpflichtungen vereinbaren zu können, zum anderen sollte es auch eine Möglichkeit sein, um sein Engagement besser bewältigen zu können. Auch dafür sollte es politische Unterstützung geben. In diesem Zuge dürften auch die Freistellungsregeln oder Sonderurlaubsgesetz – die sich teilweise zwischen den Ländern unterscheiden – überprüft werden; natürlich in Zusammenarbeit mit den Ländern. Auch Fort- und Weiterbildungen zu digitalen Kenntnissen und Fähigkeiten aus dem Engagement müssen wo möglich für den Job oder die Ausbildung als Zusatzqualifikation anerkannt werden. Und auch hier müssen Zuschüsse zu Bildungsmaßnahmen als Bestandteil von »lebenslangem Lernen« einfach zugänglich sein.